„lieber zu fus zu gehen“

Mit Mozart auf Reisen

Ziemlich genau ein Drittel seines kurzen Lebens hat Wolfgang Amadé Mozart auf Reisen verbracht, wie die Musikforscher minutiös nachgerechnet haben. London, Paris, Prag oder Berlin fallen dem Mozart-Fan da spontan ein. Und glaubt man den Aufzeichnungen eines Salzburger Benediktiners, hatte die Familie Mozart noch vielmehr vor: Man werde „in bälde gar das ganzeScandinavien, und das ganze Russland, und vielleicht gar in das China reisen“, notierte er 1766 in seinem Tagebuch – da waren die Mozarts gerade von ihrer dreieinhalbjährigen Europareise zurückgekehrt. Nicht dass sie die ganze Zeit wirklich auf Achse gewesen wären – allein in London blieben sie über ein Jahr, in Paris fünf Monate. (Auch bei seinem zweiten Aufenthalt hielt sich Mozart ein halbes Jahr in der französischen Hauptstadt auf.)

Die Post-Carte aus dem Jahre 1793 zeigt die damaligen bayerischen Poststationen.

Heute würde man solche Unternehmungen eher einen Auslandsaufenthalt als eine Reise nennen, und mit derselben Motivation, die viele Studenten heutzutage ein Auslandssemester einlegen lässt, reisten auch die Mozarts: Leopold wollte für die bestmögliche Ausbildung seines Sohnes sorgen. Mozart selbst hat dieses Motiv 1778 in einem Brief aus Paris formuliert: „ohne reisen (wenigstens leüte von künsten und wissenschaften) ist man wohl ein armseeliges geschöpf! … ein Mensch von mittelmässigen talent bleibt immer mittelmässig, er mag reisen oder nicht – aber ein Mensch von superieuren talent (welches ich mir selbst, ohne gottlos zu seyn, nicht absprechen kan) wird – schlecht, wenn er immer in den nemlichen ort bleibt“.

Um das zu verhindern, besuchte Mozart viele musikalische Zentren seiner Zeit. In Mannheim begegnete er der damals führenden Orchestermusik, in London Johann Christian Bach. Ob Mailand oder Paris, Mainz oder München – überall gab es Kollegen, von denen man lernen konnte. Und natürlich Aufträge oder Anstellungen, die Mozart gerne gehabt hätte. Nur: Um in diese Musikzentren zu gelangen, brauchte man Wochen oder gar Monate. Und wie mühselig das war, davon kann man sich heute kaum eine Vorstellung machen. Zunächst einmal war es mit den „Straßen“ so eine Sache. Als Leopold Mozart in Lüttich auf die gepflasterte Straße nach Paris stößt, ist er sehr erstaunt – und wenig begeistert, weil sie ihm „Wagen, Räder, und sonderlich das Eisenwerck angreift und zu Grunde richtet“. Gewöhnt ist er ganz anderes: Erdwege, auf denen man im Sommer im Staub, im Winter im Schlamm versinkt und die gelegentlich mit Ästen, Sträuchern oder Steinen aus dem Acker „verbessert“ werden. Man fährt eben über „Stock und Stein“. Da ist man schon froh, wenn man überhaupt vorankommt – am Rhein sind die Wege so „elend“, dass die Reisenden „von hier bis Bonn und Kölln zu wasser gehen müssen, wann wir auf der Strasse, die oft hart am Rhein gehet, nicht wollen in den Rhein geworfen werden, oder sonst den Hals brechen“, berichtet Leopold aus Koblenz. Und Wolfgang schreibt von seiner Berlinreise 1789: „Wir glaubten Samstags nach Tisch in Dresden zu seyn, kamen aber erst gestern Sonntags um 6 Uhr Abends an; – so schlecht sind die Wege.“

Natürlich musste man dabei alle paar Kilometer die Pferde wechseln. Die Poststationen auf den Strecken hatten zwar stets genügend Pferde vorzuhalten – theoretisch. Doch wenn man Pech hatte, bekam man gar keine Pferde, hohe Herrschaften hatten alle mit Beschlag belegt: „Mein Umstand war nun darauf böser oder schlimmer, weil der Herzog alle Pferde von der Post und den Lohngutschern weg hat“, beklagt sich Leopold einmal. Oder: „Um 8 uhr morgens die uns schon um 4 uhr frühe versprochene Postpferd bekommen“. Um vier Uhr in der Frühe? In der Tat brach man oft zu solch unchristlicher Zeit auf. Immer wieder finden sich in den Aufzeichnungen der Mozarts frühe Abfahrten morgens um halb sechs oder sechs – und als sei das nicht früh genug, war man vorher noch in der Messe gewesen. Vielleicht, um für gutes Wetter zu beten – bei den teilweise halboffenen Kutschen besonders wichtig. Nur zu leicht konnte es einem gehen wie Mutter Mozart, die von der Parisreise ihrem Mann ihr Leid klagt: „die 2 lesten täge aber hat uns der wind fast ersticket, und der Regen ersäuffet, das wür beyde in wagen waschnass sein worden, und schür nicht mehr schnaufen gekönt.“

Kam man dann glücklich an einem Etappenziel an und wollte übernachten, konnte man auch so manche Überraschung erleben. „In einem Wirtshause wo nur Fuhrleute füttern“ ist die Tür „beständig offen, darum hatten wir sehr oft die Ehre, daß uns die Schweine einen Besuch abstatteten und um uns herum gruntzten“, berichtet Leopold aus Lüttich. Da hatte er noch Glück: Der Herzog von Württemberg beschwert sich 1786, dass er in Rastatt „noch Ratten aus denen Zimmern fangen“ musste. Und Mutter Mozart erzählt aus Mainz: „Jezt sind wür gott lob einmahl aus den würthshaus ausgezogen, und haben ein saubres zimmer, mit 2 schönen bettern.“ Ja, wer schlau ist, nimmt sein eigenes zerlegbares Bett mit auf Reisen – wie Goethe es zu tun pflegte. Und war so vor beißenden und stechenden Insekten etwas besser geschützt.

Schon das Antreten einer Reise war ganz schön kompliziert. Der Reisende hatte sich einige Tage vor der Abfahrt zu melden. Für die schnellere Extrapost reichte ein Tag oder einige Stunden vorher, dafür musste man sich hier einen Pass ausstellen lassen, ohne den man nicht aus dem Tor gelassen wurde. Streng verboten war es, nicht eingeschriebene Reisende zu befördern, oder auch Reisende zu begünstigen, die beim Postwirt „logiert und gute Zeche gemacht haben“, wie eine Dienstanweisung von 1748 vorschreibt. Und war eine Kutsche voll besetzt, musste das mittels der Briefpost den vorwärts liegenden Stationen gemeldet werden, damit die sich mit Pferden und Nebenwagen versorgen konnten. Wenn es denn auf der Strecke, die man zu nehmen gedachte, überhaupt eine regelmäßige Postverbindung gab. Was zum Beispiel für die Strecke Salzburg – München erst seit Ende 1762 gilt. Zu spät für die erste Europareise der Mozarts, die man deshalb mit dem eigenen Wagen antrat.

Werfen wir einen Blick auf diese Strecke, die Mozart oftmals zurücklegte: knapp 130 Kilometer, nach damaliger Rechnung 17 Meilen – oder 8,5 Posten. Heute ein Katzensprung, mit der Bahn braucht man 90 Minuten. Damals ein Abenteuer, wenn man Johann Kaspar Riesbecks Schrift „Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland“ aus dem Jahre 1775 glaubt: „Der Weg von München [nach Salzburg] ist sehr traurig. Er geht durch eine ungeheure Ebene, die nur hie und da von kleinen Anhöhen unterbrochen wird. Das viele Schwarzholz, die elenden, dünn zerstreuten Bauernhütten, der Mangel an Städten, die Unsicherheit vor Räubern, alles macht einen soviel als möglich aus Bayern hinauseilen. Auf dem langen Wege von siebzehn deutschen Meilen sieht man keinen nennenswürdigen Ort als das schwarze Wasserburg in seinem tiefen Loch zwischen öden Sandhügeln, wodurch sich der Inn krümmt und zwischen denen er eine Erdzunge bildet, worauf der Ort sehr seltsam sitzt.“

Ob Wolfgang Amadé und sein Vater diese Strecke auch so empfunden haben? Immerhin war die erste Hälfte dieses Weges gleichzeitig der zu einem ihrer liebsten Ausflugsorte in der Nähe von Salzburg: dem Kloster Seeon. Die Benediktiner, die das dortige Kloster um 994 gegründet hatten, hatten enge Kontakte nach Salzburg, und die Mozarts sind deshalb oft hier gewesen. Gleich zwei Werke Mozarts wurden für die Klosterkirche geschrieben und dort uraufgeführt, und auch an der Orgel ließ sich Mozart oft hören. 1780 war er das letzte Mal da und spielte. 1778 versucht Vater Mozart gar, seinem Sohn damit die Rückkehr in das ungeliebte Salzburg schmackhaft zu machen: Man könne doch von hier in 18 Stunden in München sein, „wohin wir, so gut als auf Seeon, eine spazierreise machen können“. Da hat er allerdings im Interesse der Sache etwas übertrieben – an einem Tag war die Strecke Salzburg-München nicht zu schaffen, wie aus seinen eigenen Aufzeichnungen hervorgeht. Leopold machte stets in Wasserburg Rast, nach guten 12 Stunden Fahrt von Salzburg.

Kloster Seeon

Unterbrochen wurde die Reise von Salzburg nach München aber nicht nur durch die Übernachtung in Wasserburg. Diverse Poststationen befanden sich an der Strecke, die zum Pferdewechsel und zur Rast einluden. In schöner Regelmäßigkeit im Abstand von 15 bis 20 Kilometern. Ihre Geschichte reicht zum Teil bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück, denn hier verlief die alte Salzstraße von Reichenhall nach München, die schon im Mittelalter von Bedeutung war – in Wasserburg gingen schon im Jahre 1587 10.000 salzbeladene Fuhrwerke über die Innbrücke, 14.000 waren es im Jahr 1630. Und auch die Taxis’sche Post zwischen Brüssel und Wien, die 1506 ihren Dienst aufgenommen hatte, führte hier entlang.

Eine dieser alten Poststationen ist die in Frabertsham, über die Wolfgang Amadé 1777 berichtet: „Wir sind Gott Lob und Dank glücklich zu Waging, Stain, Ferbertshaim und Wasserburg angekommen.“ Sie befindet sich noch an Ort und Stelle und ist, wenn auch keine Post mehr, so doch ein Gasthof. Eine Gedenktafel erinnert an die illustren Reisenden, die regelmäßig durchkamen.

Auch Leopold erwähnt den Ort in seinen Briefen: Hier bekam er einmal, zu Filzschuhen über den Stiefeln und Fußsäcken, mit denen er sowieso schon ausgerüstet war, „einen grossen Buschen Heu“ in die Kutsche gelegt, so dass er seine Fußsäcke „mit Heu völlig umstecken und überlegen“ konnte. Ein „Dorf“ mit acht Häusern, war das kleine Frabertsham noch 100 Jahre später, aber einen Postmeister gab es schon seit mindestens 1620. Der hatte, laut einem Bericht von 1750, „2 Knecht, 1 Ordinarijungen, 8 Pferde; ist mit 2 halbbedeckten viersitzigen Wägen und 2 Calaischen versehen“. Vielleicht haben die Mozarts hier sogar einmal übernachtet. Meistens sind sie aber wohl weiter ins nahe gelegene Wasserburg gefahren, um dort im „Goldenen Stern“ zu übernachten. „Zu Wasserburg beim Stern ist man unvergleichlich bedient. Ich sitze da wie ein Prinz“, schreibt Wolfgang 1777.

Sein Vater hat Wasserburg vielleicht in nicht ganz so guter Erinnerung: „2 Stund ausser Wasserburg brach uns ein hinteres Rad in Stücken. … Den übrigen Weeg machte ich und der Sebastian im Nahmen Gottes per pedes apostolorum fort um mit unsern schweren Cörpern dem blessierten wagen kein neues Ungemach zuzuziehen. … Es hieß der Wagen würde bis heut frühe, folglich in Tag und Nacht restituirt seyn. – – aber ja! Einen blauen teufl! – – wir hoften bis nach tische weiter zu kommen. – – vergebens! … Dann vor der Nacht wird die Cur nicht zu Ende seyn. Es heist also: sitz auf, und bleibe heut nacht noch hier. … morgen abends, wen gott will, werden wir hoffentlich in München seyn.“ Immerhin, die Zeit wusste Leopold zu nutzen – er brachte seinem Sohn rasch das Pedalspiel auf der Orgel bei und berichtet dann stolz: „Davon er dann gleich stante pede die Probe abgeleget, den schammel hinweg gerückt, und stehend praeambulirt und das pedal dazu getretten, und zwar so, als wenn er es schon viele Monate geübt hätte.“

Von Wasserburg waren es dann „nur noch“ acht oder neun Stunden bis München. Aber auch diese Strecke zurückzulegen war kein Spaß, wie Mozart 1780 aus München berichtet: „Glücklich und vergnügt war meine Ankunft! – glücklich, weil uns auf der Reise nichts widriges zugestossen, und vergnügt, weil wir kaum den Augenblick, an ort und Ende zu kommen, erwarten konnten, wegen der obwohl kurzen doch sehr beschwerlichen Reise; – denn, ich versichere Sie, daß keinem von uns möglich war nur eine Minute die Nacht durch zu schlafen – Dieser Wagen stößt einem doch die Seele heraus! – und die Sitze! – hart wie stein! – Von Wasserburg aus glaubte ich in der that meinen Hintern nicht ganz nach München bringen zu können! – er war ganz schwierig – und vermuthlich feuer Roth – Zwey ganze Posten fuhr ich die Hände auf dem Polster gestützt, und den Hintern in lüften haltend – doch genug davon, das ist nun schon vorbey! – aber zur Regel wird es mir seyn, lieber zu fus zu gehen, als in einem Postwagen zu fahren.“